Wie sage ich es Familie und Freunden?

Als ich von dem Fehlbildungsultraschall (welch Ironie, dass diese Untersuchung auch noch so genannt wird) nach Hause kam, waren dies mit Abstand die schwersten Stunden in meinem Leben und sicherlich der grausamste Tag. Der 2.September 2020 – ich werde es niemals vergessen.

Wie ich bereits im Blogbeitrag „Umgang mit dieser Nachricht und die ständige Frage nach dem WARUM“ geschrieben habe, war mein Mann in den nächsten Tagen für mich die größte Stütze, während ich zu absolut gar nichts in der Lage war. Er übernahm natürlich auch die Aufgabe, die unerfreulichen Nachrichten seiner Familie mitzuteilen. Ich hingegen konnte das meinen Eltern nur per WhatsApp schreiben. Es persönlich zu übermitteln, wäre aufgrund meiner Traurigkeit nicht möglich gewesen und selbst das Tippen einer Nachricht fiel mir unglaublich schwer. Denn wie übermittelt man so etwas? Vor allem, da auch noch die Beerdigung meines Opas in zwei Tagen anstand, an der ich mich außer Stande sah, teilzunehmen. Des Weiteren waren ebenfalls beide Omas vor wenigen Monaten verschieden und mein Papa hatte mehrere schwere Herzoperationen über sich ergehen lassen müssen – kurz gesagt: Meine Familie hatte es schon die letzten Monate richtig beschissen getroffen. Aber es nützte nichts, es musste irgendwie raus. Also schrieb ich: „War heute bei der Untersuchung. Leider kommt das Baby nicht hundertprozentig gesund zur Welt. Es wurde eine Handfehlbildung (Symbrachydaktylie) auf der rechten Seite festgestellt. Wir müssen am Freitag zum Spezialisten und deshalb kann ich leider nicht an der Beerdigung teilnehmen, bitte seid mir nicht bös‘.“

Ich hätte mich am liebsten versteckt, eingegraben und wäre nie wieder rausgekommen. Keine Ahnung warum, aber irgendwie denkt man als Frau, dass man selbst für alles verantwortlich ist und nicht in der Lage, ein weiteres gesundes Kind auf die Welt zu bringen. Laut Spezialisten ist dies völliger Quatsch, denn die Ursachen für derartige Fehlbildungen sind nicht hinreichend erforscht. Es kann demnach viele Gründe geben: Zellteilung einmal nicht richtig funktioniert, Durchblutungsstörungen in der Schwangerschaft, Infektionen, aber auch äußere Einflüsse wie Umweltfaktoren oder Handystrahlungen sind wohl in der Diskussion. Letztendlich ist mir die Ursache auch sch… egal, denn die Tatsache ist: Mein Baby ist nun von dieser sogenannten Symbrachydaktylie betroffen.

Unsere Familien thematisierten die Problematik in den nächsten Tagen nicht großartig, wahrscheinlich um mich zu schützen und mich nicht wieder unnötig traurig zu machen. Lediglich meine Eltern drückten ihr Bedauern über WhatsApp aus. Was sollten sie auch machen? Ich war nicht in der Lage zu telefonieren und aufgrund der Beerdigung meines Opas konnte auch niemand mal eben zu mir fahren. Dennoch hätten mir gerade zu Beginn persönliche Gespräche im Rahmen der Familie gutgetan. Ich erinnerte mich zu dieser Zeit an meine ehemalige Schwiegermutter in spe, die mich sicherlich in ihre Arme genommen hätte, um mit mir erstmal eine halbe Stunde zu heulen, und um mir dann zu versichern: „Kleene, das ist alles nicht so schlimm. Wir bekommen das schon hin.“

Ich habe ein paar Wochen später mit der Freundin meines Schwagers gesprochen. Sie bestätigte mir, was ich schon dachte:  einige Familienmitglieder waren verunsichert und wussten nicht, ob es gut sei, mich darauf anzusprechen, wiederrum andere haben es bis heute nicht getan…

Ich kann diese Unsicherheiten auf der einen Seite sehr gut verstehen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es mir sehr schwerfällt, Menschen in für sie schlimmen Situationen in den Arm zu nehmen, weil ich nie weiß, ob das gewollt und angebracht ist. Auf der anderen Seite ist es aber genau das, was zumindest ich in diesem Moment gebraucht hätte.

Dankbar bin ich auf jeden Fall zwei ganz lieben Freundinnen von mir, die mir einen überraschenden Besuch abstatteten und nicht wussten, wie sie mich vorfinden würden. Das Gespräch zu Dritt hat wirklich gutgetan. Danke Dina! Danke Ari! Auch die Kommunikation mit der neuen Freundin eines ganz alten Freundes aus der Heimat, deren Tochter selbst betroffen ist, haben mir in diesen Tagen Mut gemacht. Ebenso ein Brief, der mich und meine Familie von einer meiner Lieblingskolleginnen erreichte, in dem auch ein kleiner Schutzengel mit versandt wurde. Insgesamt kann ich nur jeden ermutigen, der im Freundes-, Bekannten- oder Verwandtenkreis mit derartigen Diagnosen konfrontiert wird, mit den Betroffenen ins Gespräch zu gehen, um ihnen ggf. eure seelische, moralische Unterstützung anzubieten. Wenn jemand nicht darüber sprechen möchte, wird sie/er es euch schon mitteilen. Ich persönlich habe mich dazu entschieden, offen mit der Thematik umzugehen: in der Familie, im Freundeskreis und auch auf der Arbeit – ja, ich schreibe sogar diesen Blog. Wir denken, dass dies der beste Weg ist, um unseren kleinen Bettinerich (jetzt allen als Samu bekannt) ganz normal und selbstbewusst zu erziehen. Toll wäre natürlich auch, wenn wir Dank dieses Blogs auch mit anderen Familien in Kontakt kommen.

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