Ich hatte mich Gott sei Dank einigermaßen stabilisiert, sodass ich zwei Tage später den Termin in der 40km entfernten Stadt bei Herrn Dr. T wahrnehmen konnte. Ein Aufzug fuhr meinen Mann und mich in eine gehobenere Praxis, die einem den medizinischen Hintergrund völlig vergessen lässt. Man fühlte sich eher wie in einem großen, teuren Wohnzimmer. Schon die Sprechstundenhilfe nahm uns allerdings sofort dieses Wohlbefinden, denn in einem harschen Ton wurden ganz klare Ansagen erteilt: „Mutterpass! Ausfüllen! Hinten Platz nehmen!“.
Da saßen wir nun im teuren Wartezimmer als Wohnzimmer getarnt und warteten bis Herr Dr. T uns empfing. Dieser kam, begrüßte uns höflich, aber knapp (sah dabei übrigens nicht aus wie ein Arzt, sondern wie ein Dozent – gut ist er ja auch, aber wir befanden uns ja gerade nicht in einer Vorlesung) und geleitete uns in sein Büro. Kurze Vorbesprechung… Sie sind da, weil… Bla bla… Überweisung durch den Kollegen… Bla bla… Ab ins Untersuchungszimmer, bitte.
Ja, von Untersuchungszimmer kann man irgendwie auch nicht richtig sprechen. Es gab nur eine Liege, keinen Gynäkologenstuhl. Es wurden keine Papiertücher verwendet, wie in der „Holzklasse“, sondern Stoffhandtücher wie bei Emirates. Auch der Bildschirm, auf den man meinen kleinen Jungen sehen konnte, glich einer Leinwand. Dafür war die Untersuchung wenig einfühlsam und alle Fakten monoton runtergeleiert. Ich weiß nicht, ob mir das in dem Moment geholfen hat, einen kühlen Kopf zu bewahren, aber ich hatte mich bei Dr. K deutlich wohler gefühlt. „Ja, der Kollege hat recht. Ich bespreche aber gleich alles noch einmal genauer mit Ihnen. Trocknen Sie sich bitte ab und warten Sie in meinem Büro, ich werte die Ergebnisse gleich mit Ihnen aus.“, wurde uns sachlich, aber äußerst nüchtern mitgeteilt.
So nahmen wir also wieder im „Vorzimmer“ Platz und warteten und warteten und warteten. Erneut stieg Panik in mir auf. „Wieso dauert das so lange? Hat er noch weitere Dinge festgestellt?“. Dabei hat die kleine Maus doch fröhlich durch meinen Bauch geturnt, das Herzchen geschlagen und der Mund Fruchtwasser geschnappt (sah übrigens aus, als würde er mit mir sprechen und mitteilen wollen: “Mama, mach dir nicht allzu viele Sorgen, mir geht es gut!”). Also wieso Gott verdammt noch ‘mal kam der Arzt nicht aus dem Untersuchungszimmer???
Als Dr. T nach einer Ewigkeit zu uns kam, setzte er sich an seinen Schreibtisch und richtete seinen Laptop so aus, dass wir seine Bilder mit ansehen konnten. Und nicht nur die Bilder entdeckte ich, sondern auch jede Menge Suchanfragen über das Internet. Der liebe Doktor hatte sich also in der endlosen Zeit ebenfalls erst einmal ein Bild von Handfehlbildungen machen müssen. Das hatte also so lange gedauert. Zumindest machte er keinen Hehl daraus und erklärte uns, wo die Spezialisten dafür ansässig seien, nämlich in Hamburg – ja, nach meinem Intensivstudium auch nichts Neues für mich. Dann zeichnete er uns noch auf, was seiner Meinung nach von der Hand da sei: Daumen, Mittelhand, einzelne Fingerknospen. „Mittelhand, sind Sie sicher?“, frug ich nach. Fünf Mal bestätigte Dr. T, dass er Mittelhandknochen angelegt sehe, was ich sehr komisch fand, denn Dr. K hatte dies ausgeschlossen mit der Begründung, dass man dann weiße Punkte im Ultraschall erkennen müsse. Irgendwie sagte auch hier meine innere Stimme bereits, auf wen ich vertrauen konnte, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Selbstverständlich wurde noch ein Termin vereinbart, um noch einmal „genauer“ zu schauen – klar bin ja auch Privatpatient und die Abrechnungen solcher Praxen sind immer gepfeffert. Ob diese immer besser sind, als die Normalen, lasse ich an dieser Stelle mal dahingestellt.