Termin im Genetikum…

…neue aufschlussreiche Fakten?

Einige Tage vergingen und ich erhielt eine E-Mail meines Gynäkologen. Er schickte mir die Kontaktdaten des Genetikums in unserer Landeshauptstadt; nur falls ich eben noch Beratungsbedarf hätte. Eigentlich nicht, aber man nutzt es dennoch. Die Angst vor Aussagen, die man nicht hören will, ist vor so einem Termin unglaublich groß. Aber mein Mann und ich gingen hin.

Hier saßen wir nun Dr. X gegenüber, ein älterer Mann, der sehr sympathisch und einfühlsam war. Er dröselte in mühevoller Kleinstarbeit unsere Verwandtschaft und deren Erkrankungen auf. Am Ende stand eigentlich das Ergebnis, dass eine einseitige Handfehlbildung oft keinerlei genetische Ursachen hätte fest – die Angaben sind selbstverständlich ohne Gewähr; man hat jedoch die Möglichkeit dies genauer herauszufinden, aber oft auf private Rechnung. Nun, will man das? Wir entschieden uns dagegen. Denn was hätte es gebracht? Ich war mittlerweile in der 24.SSW und auch eine Fruchtwasserpunktion oder eben diese genetische Untersuchung kann folgende Tatsache nicht aus dem Weg schaffen: Sollte das Kind weitere Einschränkungen, Defizite oder wie auch immer man das nennen will, haben, kann ein Schwangerschaftsabbruch nicht mehr wirklich stattfinden. Außer das Kind sei nicht allein lebensfähig, so wurde es uns erklärt. Und selbst dann hätte ich den kleinen Wurm auf natürliche Weise gebären müssen, um ihn dann sterben zu lassen? Hat ein Mensch dazu die Kraft? Kann man wirklich in so einer Situation Gott spielen und über ein Lebewesen entscheiden, dessen Herz man schlagen sah und dessen Mündlein so aussah, als könne es sprechen? Wir als Paar mussten das ganz klar mit NEIN beantworten. Er ist wie er ist und wir werden Bettinerich auch so liebhaben, dafür haben wir uns entschieden.

Wie ich mich in der elften Woche entschieden hätte, kann ich im Nachhinein nicht sicher beantworten. Früher lag mir nichts ferner, als ein „behindertes“ Baby auf die Welt zu bekommen. Mittlerweile haben sich meine Ansichten dabei sehr stark verändert. Vor allem handelt es sich bei uns „nur“ um eine Hand, während ich viele andere tolle Familien bei der Facebook-Ahoi-Gruppe sah, die deutlich schlimmere Schicksale mit ihren Mäusen erleiden und dennoch als Familie zusammenstehen und glücklich zu sein scheinen. Genau aus diesem Grund hat mich auch die Aussage des Dr. X total schockiert, als er uns frug, ob wir jetzt noch über Abtreibung nachdächten, denn in Deutschland ginge dies nicht mehr ohne Weiteres. „Ähm, hallo? Hast du das gerade wirklich gefragt? Wir reden hier von einem sonst völlig gesunden Fötus (zumindest wurde nichts weiter festgestellt), den man aufgrund einer fehlenden Gliedmaße töten soll? Leben wir eigentlich noch im Nationalsozialismus?“, schoss es mir durch den Kopf. In diesem Moment wurde der liebe, nette Opi von gegenüber ebenfalls zu einem Arzt ohne Gefühl. Er wollte mir in diesem Moment sicher nichts Böses und nur die Tatsachen aufzeigen, aber ich hatte sofort das Bedürfnis zu flüchten und mein Ungeborenes in Sicherheit zu bringen. Rationalität kann man von werdenden Müttern in solchen Momenten nicht erwarten, aber vielleicht wäre es dennoch möglich, die Dinge etwas vorsichtiger zu formulieren, Fragen anders zu stellen oder ein Gespür dafür zu bekommen, welche Familien gewisse Möglichkeiten absolut absurd finden.

Ehrlich gesagt hatte ich ab diesem Zeitpunkt sowas von die Schnauze voll von Spezialisten oder Beratungsstellen. Am wohlsten fühlte ich mich bei Dr. K. Er gab mir immer ein Gefühl von Sicherheit, Zuversicht und war dabei stets vorsichtig ehrlich, ohne Hoffnungen zu verbreiten, die sich dann wie Seifenblasen in Luft auflösten. Leider entschieden wir uns, die letzten drei Termine bei ihm abzusagen, um die Schwangerschaftsvorsorge von meiner Geburtsklinik übernehmen zu lassen, denn eine 180 Grad-Drehung in der 29.SSW, die mit einer Blaulichtfahrt und viel Panik endete, sorgte dafür, dass mein Mann mich nicht mehr allein die 40km fahren lassen wollte. Also stand erneut ein Arztwechsel an. Wieder Untersuchungen, wieder die Geschichte erzählen, wieder die innerlichen emotionalen Abstürze erleben.

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