
Sue Tirilu
Mein Name ist Sue. Jaaa, diesen Namen gibt es tatsächlich, vorwiegend im englischsprachigen Raum. Ich bin also keine vergewaltigte Kurzform eines japanischen Gerichts (vorwiegend ältere Semester schreiben mich nämlich gern “Su”).
Zugegeben bei mir ist es ein Spitzname, den ich seit der Pubertät erhielt, als Freunde feststellten, dass sich bei „Susi“ der halbe Marktplatz umdrehte. Seither ist mir die formelle Ansprache meines Vornamens irgendwie fremd geworden – aber egal, darum soll es hier ja gar nicht gehen.
Ich bin ein Mensch, der sich nicht unbedingt zu den Glückspilzen des Jahrhunderts zählen würde. Keine Losbude musste sich vor mir fürchten. Bei Gewinnspielen hatte ich mäßigen bis gar keinen Erfolg und auch die anderen Lottospieler brauchen sich keinesfalls für mir als Konkurrentin ängstigen. Kurzum, mir fiel noch nie etwas in den Schoss und für alles, was ich erreicht habe, musste ich schon auch mein Popöchen drehen. Dennoch würde ich behaupten, dass mein Leben mit all seinen bisherigen Höhen, und auch Tiefen, bisher ziemlich erfüllt und glücklich war.
Werdegang
Ich wuchs in der schönen Bergbaustadt namens „Freiberg“ auf und verbrachte dort eine tolle und unbeschwerte Kindheit mit vielen Freunden und wunderbarem Plattenbaufeeling. Letzteres störte mich damals in keinster Weise oder prägte mich irgendwie negativ, im Gegenteil.
In der Schule war ich wahrscheinlich der absolute Lehrerschreck: frühreif, große Klappe, aber ziemlich beliebt. Dazu kamen gute bis mittelmäßige Leistungen; außer in Mathe. Nachdem ich für mich beschloss, das Abitur, entgegen aller Warnungen, für mich nicht anstreben zu wollen, beendete ich meine Schullaufbahn vorläufig mit dem Realschulabschluss. Für diesen brauchte ich ungelogen 0,0 irgendetwas zu tun, da ich Dank des Gymnasiums schon ab Klasse 9 bestens darauf vorbereitet war. Ich konnte also ein Jahr Schule völlig an mir vorüberziehen lassen und die Zeit mit meinen Freunden oder bei der Arbeit im Eiscafé verbringen.
Während ich den ersten herben Rückschlag im Leben verdauen musste (ich hatte in BW bei der Polizeieignungsprüfung alle Tests durchlaufen und bestanden, wurde dann aber doch durch eine Ärztin aus Sachsen ausgebremst – bum, polizeidienstuntauglich; heute aber als “besser so” eingeschätzt), begann ich eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau in meiner neuen Heimat in der Nähe von Stuttgart. Zusätzlich arbeite ich in einigen Kneipen, Bars, Clubs und Diskotheken, um zusätzlich das Azubigehalt aufzubessern, aber auch, um neue Leute kennenzulernen. In Baden-Württemberg habe ich nämlich eins schnell begriffen: Die Menschen ticken hier anders als im freizügigen, ehemaligen Osten der Republik (und das ist keinesfalls wertend). Man lernt sich hier oft erstmal langsam kennen und wird nicht gleich in den Verwandten- und Freundeskreis integriert. Durch die Gastronomie, die ja aber wie eine kleine Familie zusammenhält, erhielt ich relativ schnell großen Anschluss in meiner neuen Wahlheimat.
Da ich ein Mensch bin, der irgendwie immer nach mehr im Leben strebt, reichte mir das Angebot Filialleiterin zu werden nach meiner dreijährigen Ausbildung nicht aus; zumal ich mich mit den Arbeitsbedingungen und Öffnungszeiten nie anfreunden konnte. Das Gleiche galt natürlich für die Gastro. Also beschloss ich, mein Abi nachzuholen (hatte ja damals nicht hören wollen) und ein Studium ranzuhängen – irgendwas mit jungen Leuten, aber ganz gutem Verdienst. Gesagt getan.
Während meines Lehramtsstudiums war ich für einige Jahre selbstständig in der Finanzbranche (dazu bin ich wie die Jungfrau zum Kind gekommen; lange Story). Hier erlebte ich den nächsten herben Rückschlag im Leben. Gerade als das Geschäft richtig anrollen wollte, dass ich mit einem Geschäftspartner aufbaute (immerhin hatten wir uns bis dahin sogar ein Büro in einem Schloss in der Nähe von Ludwigsburg mieten können), verabschiedete dieser sich aufgrund privater, finanzieller Schieflage mit dem gesamten Vermögen auf unserem Geschäftskonto. Ich stand zu diesem Zeitpunkt kurz vor meinem ersten Staatsexamen und musste eine Entscheidung treffen: Entweder als 25-jährige Blondine ein Business allein leiten, in dem mich wahrscheinlich ohne 24/7 Arbeit keiner ernst nehmen würde, da ich in diesem Bereich kein Studium absolviert hatte und sehr jung war, oder alles hinschmeißen und die sichere Karte ziehen und Beamtin werden. Ich entschied mich für Letzteres, zumal dies eher meinen Neigungen entsprach und ich heutzutage froh bin, nicht wie ein getriebenes Pferd jeden Monat um die 5.000-10.000 Euro verdienen zu müssen, nur um private und geschäftliche Ausgaben bedienen zu können. Beruflich gesehen bin ich also froh, ganz normale Lehrerin an einem Gymnasium zu sein und beruhigt schlafen zu können, wenn auch mit einem Gehalt, über das ehemalige, erfolgreiche Kollegen nur schmunzeln (andere wiederum wissen oft nicht, wie sie den nächsten Monat überstehen sollen, aber Hauptsache gute Miene zum bösen Spiel).
Privat habe ich trotz der vielen Arbeit mein Leben voll genossen. Ich hatte mir einen großen Bekannten- und Freundeskreis aufgebaut, war jung und auf vielen Partys unterwegs. Zugegeben gesundheitlich gab es auch einige unangenehme Vorfälle in meinem Leben: verpfuschte OP mit 21 und einer beinahen Beförderung ins Jenseits sowie einer sehr unangenehmen halbjährigen Fissur-Geschichte mit Ende 20. Dennoch… hätte ich bis zur Geburt meines ersten Kindes im September 2018 den Löffel abgeben müssen, hätte wohl auf meinem Grabstein folgender Satz stehen können:
„Schau nicht so blöd! Als ich in die Hölle kam, hat der Teufel schleunigst seine Sachen gepackt. Jetzt feiere ich bei angenehmen Temperaturen mit seinem Personal, trinke Cocktails und höre laut Musik.“
Mit der Geburt eines Kindes verändert sich das Leben natürlich grundlegend und man übernimmt viel mehr Verantwortung, kann nicht mehr egoistisch allein seine Ziele verfolgen, ist zeitlich eingeschränkt und bei weitem nicht mehr so spontan – aber das lohnt sich auch. Mein erträumtes, spießiges Dasein, das ich irgendwann begann zu führen, schien also perfekt: Ehemann, Kind, Hund, Haus und großer Garten, guter Job, Gesundheit. Doch dann wurde ich wieder schwanger und im September 2020, das Jahr, welches wohl als „Coronajahr“ in die Geschichte eingehen wird, wurde meine heile Welt erneut auf eine harte Probe gestellt….